Gastrochilus retrocallus
(Foto: Thomas Jacob)
Bunzō HAYATA, ein japanischer Botaniker und Taxonom, beschrieb die Art erstmalig unter dem Namen Saccolabium retrocallum in „Icones Plantarum Formosanarum nec non et Contributiones ad Floram Formosanam“ im Jahr 1914. Drei Jahre später überführte er in einer weiteren Auflage des genannten Werks die Art in die Gattung Gastrochilus, wodurch sich der Artname zu retrocallus änderte. Sein ebenfalls aus Japan stammender Kollege Yûshun KUDÔ veröffentlichte im Jahr 1930 einen Beitrag in „Journal of the Society of Tropical Agriculture. [Nettai nogaku kwaishi]“, in dem er die Art in die Gattung Haraella überführte. Der Name Haraella retrocalla taucht immer wieder in der Literatur auf und ist ein gültiges Synonym für die Art. Der von WCSP (World Checklist of Selected Plant Families) der Kew-Gardens in England anerkannte Name ist aber bis heute Gastrochilus retrocallus.
Der Gattungsname setzt sich aus den zwei griechischen Wörtern gaster (γαστηρ) und cheîlos (χειλος) zusammen. Ersteres bedeutet Bauch, zweites kann mit Lippe übersetzt werden. Da das Labellum, also die Lippe, bei Pflanzen dieser Gattung sehr bauchig ist, scheint dies ein sehr passender Gattungsname zu sein. Der Artname retrocallus lässt sich mit „nach hinten gerichteter Bart übersetzen“. Da der Rand des Labellums stark ausgefranst und leicht nach hinten geneigt wächst, ist auch der Artname nachvollziehbar. Ganz frei lässt sich Gastrochilus retrocallus also mit „Bauchige Lippe mit nach hinten gerichtetem Bart“ übersetzen.
Habitus von Gastrochilus retrocallus
(Foto: Thomas Jacob)
Lippendetails von Gastrochilus retrocallus
(Foto: Thomas Jacob)
Der Epiphyt ist heimisch auf Taiwan, wo er in Höhenlagen von 1.000 – 2.200 Metern in uralten Wäldern wächst. Das Klima ist geprägt von sehr warmen Sommern und – je nach Standort – richtig kühlen Wintern. Niederschläge gibt es das ganze Jahr über. Selten sind die kleinen Pflanzen dem direkten Sonnenlicht ausgesetzt. Meistens findet man sie an halbschattigen Plätzen.
Gastrochilus retrocallus bildet kurze Stämme aus, auf denen jeweils drei bis fünf kleine fleischige Blätter sitzen. Das dunkelgrüne Laub wird nur wenige Zentimeter lang und hat eine abgerundete Spitze. Vom Herbst bis in den Winter erscheinen die circa 5-7 cm langen Infloreszenzen, an denen bis zu drei Blütenknospen gebildet werden. Nicht immer entwickeln sich die Knospen gleichzeitig. Oft blühen die Blütentriebe zuerst mit ein bis zwei Blüten und nach dem Abblühen folgt eine weitere Nachblüte. Die 3-4 cm großen Blüten haben eine leuchtend gelbe Färbung. Lediglich das Labellum ist im Zentrum auffällig violettrot gezeichnet. Die Blüten duften angenehm und intensiv.
Obwohl die Art am Naturstandort im Winter eher niedrige Temperaturen erfährt, kultiviere ich meine Pflanze temperiert. Die nächtlichen Werte fallen in den Wintermonaten bei mir auf ungefähr 14 Grad ab. In besonders eisigen Nächten sind es auch mal nur 12 Grad. Kühler hat es mein Gastrochilus retrocallus allerdings nie. Im Sommer sind die Temperaturen natürlich deutlich höher, was der Art aber keine Probleme bereitet. Die Sommermonate sind auf Taiwan ja auch sehr warm bis heiß. Da direktes Sonnenlicht nicht gut vertragen wird und am Naturstandort in den uralten Wäldern Taiwans nur mäßig Licht auf die Pflanzen fällt, steht sie bei mir etwa eineinhalb Meter von einem sehr großen, nach Süden ausgerichteten Fenster entfernt. Da jedes Jahr im Herbst die Blütentriebe erscheinen, reicht das wenige Licht dort offenbar aus.
Seitenansicht von Gastrochilus retrocallus
(Foto: Thomas Jacob)
Gastrochilus retrocallus im Größenvergleich mit meinen Fingern
(Foto: Thomas Jacob)
Gastrochilus retrocallus lässt sich sehr gut aufgebunden kultivieren, wenn man eine Orchideenvitrine oder ein Gewächshaus hat und die Luftfeuchtigkeit schön hoch halten kann. Leider besitze ich beides nicht, also kultiviere ich sie getopft in reinem Sphagnum-Moos. Der Vorteil davon ist, dass es sich schön gleichmäßig feucht halten lässt, ohne zu nass zu werden. Der meiner Meinung nach größte Nachteil ist, dass das Substrat jährlich gewechselt werden sollte. Durch die andauernde Feuchtigkeit verdichten sich die Moosfäden im Inneren des Topfes schnell, wodurch die Wurzeln nicht mehr ausreichend mit Frischluft versorgt werden und faulen können. Außerdem reichern sich im Moos Düngerreste in Form von Salzen an, die auf Dauer die feinen Wurzeln von Gastrochilus retrocallus verbrennen können. Meine kleine Pflanze erhielt ich damals in Moos getopft und es lief von Anfang an echt prima mit ihr, weswegen ich mich dazu entschloss, sie dauerhaft in Moos zu kultivieren und den Nachteil des regelmäßigen Topfens hinzunehmen.
Der Pflanzstoff wird immer feucht gehalten und trocknet niemals komplett ab. An den besonders heißen Sommertagen, an denen das kleine Töpfchen innerhalb von ein bis zwei Tagen durchtrocknen würde, steht es sogar kurzzeitig in einer kleinen Pfütze Wasser, was den Wurzeln bisher noch nicht geschadet hat. Ich achte aber sehr darauf, dass es währenddessen nicht zu kühl wird und höchstens zwei bis drei Tage dauert, bis das Wasser aufgesogen ist. Gastrochilus retrocallus hat sehr feine Wurzeln, die – wie oben schon erwähnt – sehr salzempfindlich sind. Deshalb dünge ich nur einmal im Monat während der Sommermonate. Der Leitwert meines Düngerwassers liegt dann bei ungefähr 300-350 Mikrosiemens/cm.
Wegen ihrer wirklich überschaubaren Größe findet Gastrochilus retrocallus in jeder Orchideensammlung noch ein Plätzchen. Viel Erfolg beim Kultivieren!
Die Knospen von Gastrochilus retrocallus sind fast kugelrund
(Foto: Thomas Jacob)